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Kann Photographieren ein Akt des Friedens sein?

Zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels an Sebastião Salgado Auszüge der Laudatio von Wim Wenders und der Dankesrede von Sebastião Salgado.

Das Bild zeigt Leila Wanick Salgado und Sebastião Salgado, fotografiert von Ricardo Beliel, zur Verfügung gestellt vom TASCHEN Verlag. Die eingefügten Links führen zu den vollständigen Reden, bereitgestellt vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V.

Die Laudatio von Wim Wenders auf Sebastião Salgado. Es gilt das gesprochene Wort.

Kann Photographieren ein Akt des Friedens sein?
Kann die Photographie friedensfördernd sein?
Die Frage ist nicht so rhetorisch, wie Sie denken mögen.
Immerhin ist diese Tätigkeit mit ‚Schießen‘ verbunden.
Der ‚Photo Shoot‘ im Neudeutschen bringt einen auf diese Fährte,
ebenso wie im etwas altmodischeren Jargon die ‚Schnappschüsse‘,
bei denen nicht nur geschossen wird, sondern auch Fallen zuschnappen.
Ich erinnere an die amerikanischen Ureinwohner, die instinktsicher geahnt haben,
daß der weiße Mann ihnen damit ‚die Seele stehlen wollte‘.
All diese feindseligen Aspekte des Photographierens lassen wir heute weit hinter uns.
Sebastião Salgado schießt nicht, er stiehlt nicht, er stellt keine Fallen, im Gegenteil:
seine Bilder entwaffnen, sie stiften Verbindung, Nähe und Empathie.
Das haben Sie gesehen und ausgezeichnet, verehrte Damen und Herren
vom Stiftungsrat des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels.
Und so läßt Ihr Preis nicht nur Sebastião Salgado,
sondern auch seinen Beruf, sein Hand-Werk, sein Lebens-Werk
in einem anderen Licht erscheinen,
eben als Werk und Wirken des Friedens.

Die Dankesrede von Sebastião Salgado anlässlich der Verleihung des Friedenspreises 2019. Es gilt das gesprochene Wort.

Liebe Freundinnen und Freunde,

ich fühle mich zutiefst geehrt, den renommierten Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegennehmen zu dürfen. Mit der diesjährigen Wahl wird mein Schaffen gewürdigt, meine Fotografien, mein Einsatz und mein Engagement für die Förderung pazifistischer Ideen. Ich danke Ihnen voller Rührung und Stolz. Ja, ich bin stolz darauf, dass mir der Friedenspreis verliehen wird, einem Fotografen, der viele Jahrzehnte lang langwierige investigative Projekte durchgeführt hat; einem Fotografen, der einen großen Teil seines Lebens dafür eingesetzt hat, Zeugnis abzulegen über die Not unseres Planeten und so vieler seiner Bewohner, die unter grausamen, unmenschlichen Bedingungen leben; einem Fotografen, der diese Menschen ins Zentrum eines großen fotografischen Essays stellt, den er vor fünfzig Jahren begonnen hat und bis heute weiterschreibt.

Diese Männer, Frauen und Kinder gehören zu den Ärmsten der Menschheit. Sie bilden eine riesige Armee von Migranten und Verbannten, von ausgebeuteten Arbeiterinnen und Arbeitern, von Opfern von Krieg und Genozid. Es sind die Betroffenen von Hungersnöten, Dürrezeiten, Klimawandel und Abholzung; es sind die, die durch die Gier mächtiger, habsüchtiger Männer von ihrem Land vertrieben wurden, die der Mechanisierung der Landwirtschaft weichen mussten, die durch die Konzentration von Grundbesitz, durch ungeplanten Städtewachstum und brutale Wirtschaftssysteme, die von den reichsten Ländern der Welt kontrolliert werden, ihrer Existenzgrundlage beraubt wurden.

Mit ihnen möchte ich diesen Preis heute teilen. Ich nehme ihn nicht für mich an; ich nehme ihn für sie an; ich nehme ihn mit ihnen an.