WENN WIR UNS VON UNSEREN TRÄUMEN LEITEN LASSEN…
…wird der Erfolg all unsere Erwartungen übertreffen. Die Präsidentin der Salzburger Festspiele, Frau Helga Rabl Stadler, zitierte Henry David Thoreau. Wohl ging es in erster Linie um den Traum. Jenen von Max Reinhardt, der vor 100 Jahren im April 1917 seine Idee von einem Festspielhaus in Salzburg als eines der ersten Friedensprojekte formulierte und das Ansuchen hierzu an den Kaiser schickte. Am 1.August 1917 trafen sich Befürworter der Festspiel-Idee aus Wien und Salzburg im Gebäude des Wiener Musikvereins zur Gründung des Vereins SALZBURGER FESTSPIELHAUSGEMEINDE. Drei Jahre später fand am 22.August 1920 mit dem Jedermann auf dem Domplatz die erste Aufführung statt. Österreich hatte nach dem ersten Weltkrieg politische Bedeutung verloren. Hugo von Hofmannsthal ging es in seinen Gründungs-Überlegungen unter Anderem um Möglichkeiten der Weiterentwicklung kultureller Identität. Getragen von der Idee des ‚theresianischen Menschen’ als Erbe habsburgischer Grundsätze sollte die kulturelle Basis Vermittler zwischen den Europäern sein. Es ging um den ausgleichenden habsburgischen Weg des ‚Leben und Leben lassen’ – als Gegenmodell zu preussisch/norddeutscher Kompromißlosigkeit. Ein Spiegel seiner politischen und staatsrechtlichen Schriften, die in der rückwirkenden Betrachtung das Bedrohliche des aufkommenden Nationalsozialismus aufzeichneten. Der Traum, dass Kultur Barrieren überwinden hilft – das hat sich in den vergangenen einhundert Jahren der Salzburger Festspiele manifestiert. Zurück zu Thoreau und seiner Traum-These. Seine Schriften zur Civil Disobediance waren für Gandhi und Martin Luther King Inspirationsquelle für am Gewissen orientierten und ausdrücklich gewaltfreien Widerstand gegen die (unterdrückende) Obrigkeit. Das als kurze Einleitung zum Entschluss, die Reden von Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Landeshauptmann Wilfried Haslauer hier wiederzugeben. Denn Gestalten bedeutet sehr viel mehr. Es geht um Achtsamkeit. Das ist eine Abweichung von der Tradition kurzer Texte und großer Bilder. Read what you see, die ‚Guideline’ von Designers-Digest, wird hier zu ‚see what you read’…
Fotos mit freundlicher Genehmigung der Salzburger Festspiele / Landes-Medienzentrum Salzburg

Salzburger Festspiele 2027
Im Bild Bundespräsident Alexander van der Bellen bei seiner Eröffnungsrede
Foto: Franz Neumayr 27.7.2017
Eröffnung der Salzburger Festspiele 2017
Rede von Bundespräsident Alexander Van der Bellen
ES GILT DAS GESPROCHENE WORT!
Nach Ferdinand von Schirach möchte man eigentlich noch lange über seine Rede
nachdenken. Beispielsweise über das Verhältnis von Mehrheit und Minderheit. Über die
Kunst der Demokratie, deren Pflicht es auch ist, Minderheiten zu schützen, ihre Anliegen
zu hören und ihre Interessen zu wahren. Die Mehrheit kann ihre Interessen durchsetzen.
Die Qualität unserer Demokratie aber bemisst sich auch daran, wie wir mit weniger
mächtigen Minderheiten umgehen. In gewisser Weise ist dies auch Thema in Mozarts „La
Clemenza di Tito“, die heute Abend Premiere haben wird. Wie geht jemand mit großer
Machtfülle um?
Ist es in dieser Oper der Einzelne, der uneingeschränkte Herrscher, so geht in unserer
Demokratie, – wie auch schon zu hören war -, die Macht vom Volk aus. Das ändert jedoch
nichts an der hohen, ja höchsten Verantwortung, die im Ausüben von Macht liegt.
Herrschaft kann immer in Tyrannei umschlagen, wenn sie sich nicht selbst beschränkt.
Dies zur Festrede, für die ich Ferdinand von Schirach besonders danken möchte.
Eine der Konstanten der Salzburger Festspiele bildet der Jedermann. Das „Spiel vom
Sterben des reichen Mannes“. Ein interessanter Untertitel gerade in Zeiten, da die Kluft
zwischen arm und reich auch in Europa und in unserem Land immer größer wird. Wir alle
wissen das, wir lesen fast täglich darüber, wenn wir es lesen wollen. Zehn Prozent der
reichsten Österreicherinnen und Österreicher besitzen rund zwei Drittel des Vermögens.
Innerhalb Europas ergibt sich ein ähnliches Bild und auch zwischen den Staaten Europas tut
sich eine Kluft auf zwischen dem wohlhabenderen Norden und dem ärmeren Süden
In soziologischen Umfragen stellt sich regelmäßig folgendes heraus: Wenn Sie reiche
Menschen fragen, wer von Ihnen sich wirklich reich fühlt, zählen die meisten sich selber
nicht dazu. Vielmehr zählt man sich zum „Mittelstand“. Reich ist immer der andere. Das ist
durchaus nachvollziehbar: Man orientiert sich quasi nach oben. Das ist eine zutiefst
menschliche Eigenschaft. Diese Eigenschaft ist auch wichtig, da sie ein Motor für
Veränderung ist. Unzufriedenheit mit dem Status Quo, das Streben nach Verbesserung ist
essentiell.
Ich komme aus der Wissenschaft und weiß, dass nur das Infragestellen der bestehenden
Umstände zu neuen Erkenntnissen führt. Aber, das lehrt uns Hofmannsthal:
Vermögensbildung ist nichts wert ohne Herzensbildung. Ist es nicht die vornehme Pflicht
jedes starken, wohlhabenden, erfolgreichen Menschen, auch für die Menschen da zu sein,
denen es nicht so gut geht?
Der Stärkere möge die Weisheit besitzen, den Schwächeren zu achten. Empathie ist die
Voraussetzung für Solidarität! Aufgabe der Politik ist es dann, Rahmenbedingungen zu
schaffen, in der die Schwächeren und Ärmeren ein Anrecht auf Unterstützung haben und
nicht auf die gnädige Geste eines Herrn Jedermann angewiesen sind.
Im Mainstream unserer Tage stehen die Zeichen eher auf Vereinzelung und Egoismus. Wir
sollten schon achtgeben, dass wir uns nicht in eine Art digitales Biedermeier bewegen. Die
neuen Facebook-Freunde ersetzen dann den alten Biedermeier-Salon. Der Einzelne richtet
sich in seiner Echokammer ein, und das jeweils Andere erreicht ihn dort nur mehr als
fernes Bild, das man genauso gut ignorieren kann.
Ich möchte dazu ermutigen, auch ab und zu den Blick vom Display zu heben und aufrecht
um sich und in die unmittelbare Umwelt zu blicken. Dabei kann man sich durchaus, –
denken Sie an die Festrede – an der Haltung Voltaires orientieren. Denn Voltaire hätte das
Unrecht still hinnehmen und sich zurückziehen können. Hat er aber nicht! Und daran
erinnert sich die Nachwelt mit Respekt und Dankbarkeit.
Gerade heute ist unser Engagement besonders gefragt. Wir können die bevorstehenden
Umwälzungen – zum Beispiel die Digitalisierung und die Veränderung der Arbeitswelt –
nicht aufhalten. Aber wir können sie beeinflussen. Wir können ihnen ein menschliches,
achtsames, mitfühlendes Antlitz geben. Wir können sicherstellen, dass auch in Zukunft auf
jene geachtet wird, die im Schatten der Wirtschaftsentwicklung bleiben.
Es liegt an uns. An uns allen. An jedem einzelnen. „Jedermann“ kann sich zum Guten
ändern. Auch das ist eine schöne, wohltuende Botschaft, die uns Hofmannsthal überbringt.
Jedes Jahr sind die Salzburger Festspiele das Resultat enormer Anstrengungen und
künstlerischer wie organisatorischer Meisterleistungen. Ich möchte daher dem neuen
Intendanten Markus Hinterhäuser – stellvertretend für alle Mitwirkenden – aufrichtig
danken und für die weitere Arbeit in Salzburg das Beste wünschen. Für die nun kommenden
Festtage von Theater und Musik wünsche ich Ihnen, meine Damen und Herren, offene
Augen, offene Ohren und uns allen wünsche ich offene Herzen.
In diesem Sinne erkläre ich die Salzburger Festspiele für eröffnet!

Foto: Neumayr/MMV 27.7.2017
Eröffnung der Salzburger Festspiele 2017
Rede von Landeshauptmann Wilfried Haslauer
Die Frau hält den leblosen Körper ihres erwachsenen Sohnes.
Trauer und Verzweiflung vollenden sich in tiefer Hingabe an ihr totes Kind, unter
Schmerzen geboren und großgezogen, ihr Ein und Alles, und jetzt ist er aus dieser Welt,
geschunden, gequält, ermordet. Der Körper des Sohnes ist in sonderbarer Weise entspannt,
ja geradezu erlöst, wie ein welkes Blatt vom Baum des Lebens zu Boden geglitten, wo er
sich in der Unendlichkeit des Unsagbaren, im Schoß seiner Mutter verliert.
Die Pieta von Michelangelo im Petersdom, ein Bild vollendeter Schönheit.
Wie schwer wiegt Schönheit in unserem Leben?
„Unsere Gegenwart misstraut dem Schönen“ schreibt Walter Kappacher, ja, wir schämen
uns beinahe für sie.
Was hat uns denn die Schönheit angetan, dass sie uns verdächtig geworden ist, wir mit ihr
nichts mehr zu tun haben wollen? Warum ist Schönheit im Geruch, oberflächlich, dumm,
kitschig, banal, hohl zu sein?
Hat Schönheit in unserer Zeit überhaupt noch einen Platz zu beanspruchen?
Überall Krieg, Armut, Hunger, Vertreibung, Flucht und Elend und wir reden hier über
Schönheit? Zu Recht, wie ich meine.
Die Schönheit macht uns aus. Sie ist mehr als bloßes Leben, mehr als Nahrung, Verdauung,
Behausung. Sie stiftet Sinn, sie wurzelt tief in uns und will sich äußern, wie der Gesang der
Vögel ist sie die pure Lust, wenn wir sie zulassen oder aufnehmen. Sie bewusst zu
erkennen, ihr Stellenwert in unserem Leben zu geben, sie zu sehen, wahrzunehmen,
vorsichtig wie leicht zerbrechliches Glas in die Hände zu nehmen und weiterzureichen,
obwohl sie nur aus sich heraus besteht, für sich schön ist, ohne Nutzen, macht uns
menschlich, erhebt uns über andere Lebewesen, macht uns aber gleichzeitig auch
verletzlich und angreifbar. Schon in der Antike herrschte die Vorstellung, das Schöne sei
gleichbedeutend auch mit dem Wahren und Guten. Ein Bild von dem wir uns längst
entfernt haben! Die christliche Kultur hingegen reichert die Schönheit mit dem Schmerz,
mit dem Leiden, aber auch mit der Hoffnung, nein der Gewissheit auf Erlösung an. Noch in
ihrem ärgsten Leiden ist die Gestalt Jesu schön, weil aus ihr ein Licht leuchtet.
„Schönheit, die aus der Liebe kommt, vermag die Grausamkeit zu besiegen.“ Dieser Satz
macht nachdenklich, er gibt Hoffnung.
Schönheit ist ein Teil von uns. Franz Grillparzer formuliert dies so:
„Den Menschen, den du hingesetzt zur Lust,
ein Zweck, ein Selbst, im Weltall eine Welt,
gebaut hast Du ihn als ein Wunderwerk –
mit hoher Stirn und aufgerichtetem Nacken,
gekleidet in der Schönheit Feierkleid,
das Bild der Welt gelegt ihm in das Auge
und wunderbar mit Wundern ihn umringt.
Er hört und sieht und fühlt und freut sich.“
Schönheit findet im Auge des Betrachters statt, sagt man. Unsere Gesellschaft aber hat die
Schönheit kommerzialisiert, vermasst, vielleicht sogar vermasselt, sie wird gleichgesetzt
mit Schönheitsköniginnen, dem Nachdruck von Werken der klassischen Moderne bis zum
Erbrechen, Klimt und Schiele als Dekor auf Gläseruntersetzern und auf Unterhosen. „Der
Schrei“ von Edvard Munch, hunderttausendfach als Billigwandschmuck, verwirklicht sich in
einem Schrei der Fassungslosigkeit, dass gerade er den röhrenden Hirsch am Gemälde im
ehelichen Gemach ersetzen muss. Mozart als Restauranthintergrundmusik, geniale
Meisterwerke pervertieren durch penetrante Dauerberieselung in Abgeschmacktheit und
Trivialität. Niemand kann sich der Schönheitsflut entziehen. Die Menschheit ist längst auf
der Flucht vor der selbstgeschaffenen Schönheits-Zwangsbeglückung. Diese Flucht führt in
das Abwegige und erhöht das Hässliche, das Widerwärtige zieht an, das Scheitern,
Menschen am Abgrund, Natur nach ihrer Zerstörung. Die Inszenierung herausragender
Werke der Dichtkunst in Schutt und Asche fasziniert, die Selbsterniedrigung von
Schauspielern in ihrem Spiel geht an und oft über die Grenzen menschlicher
Darstellungskunst, sie provoziert aber nicht mehr, erfüllt bloß Erwartungen. Die Mode
kleidet in graue Säcke oder Kampfanzüge, auch Camouflage genannt; wie absurd, dass das
Tarndekor der Berufsbekleidung totbringenden Handwerks als kleidsam gesehen wird! Der
Verzicht auf Schönheit verhilft Kostendruck und Funktionalität zur Hochzeit; sie schreiben
das Diktat der Architekturschachteln, in denen man lieber noch wohnen möchte, als sie
von außen betrachten zu müssen.
Vielleicht ist es die Entgeistigung des Schönen und seine permanente Reizüberflutung, die
uns die Schönheit verdächtig gemacht haben, ihr Verlust an Kostbarkeit. Schönheit
entsteht aus Widerspruch, aus Einmaligkeit, aus dem nicht Alltäglichen, Schönheit verlangt
nach Stille, nach Wahrnehmung, sie muss wahr sein und angenommen werden, sie will berühren
und ist gleichzeitig ohne Zweck und absichtslos, sie bedarf eines Lichtes, das
über die reine Formvollendung hinaus geht, das mehr ist als Design, mehr als die
Verbindung von Funktionalität und Ästhetik: Schönheit hat keine Funktion für sich, ihre
Erhabenheit besteht im Sein – und sie findet in uns statt, sie ist nicht absolut, sondern Teil
unserer Seele, die wieder lernen muss, Schönheit zu sehen. Schönheit ist zutiefst
menschlich – und Schönheit muss nicht notwendigerweise auf den ersten Blick
schön sein.
Herta Müller schreibt in der Anthologie „Ein Hauch von Lippenstift für die Würde“:
„Hässlichkeit ist ein Mittel der Unterdrückung. Die Hässlichkeit frisst den Menschen und
wer dieser Trostlosigkeit nichts entgegenzusetzen hat, wird aufs Furchtbarste
entmündigt.“ Schönheit verlangt Zurücknahme, mehr denn je den Weg zu sich selbst,
bewusstes Entscheiden, aber auch Widerstand, um sich mit Hilfe von Werken der Kunst
oder dem schlichten Sehen von Phänomenen der Natur selbst seinen eigenen Stellenwert
zu schaffen. Schönheit ist kein Zustand, sie ist mehr als Form und Farbe, sie ist vor allem:
eine Haltung!
So möchte ich meine Grußworte zur Eröffnung der Salzburger Festspiele 2017 für ein
Plädoyer für die Schönheit nützen, jene Schönheit, die aus Überdruss als Lebenseinstellung
in Verdacht geraten ist und die als Konsequenz ihrer Verdächtigkeit hinter der
Zweckmäßigkeit zurücktreten muss. Was hinterlassen wir kommenden Generationen an
Schönheit, die jedem Tag zu einer Entdeckung, jedem Moment zu einem Geschenk, jedem
Augenblick zu einer Überraschung verhelfen kann? Schwer zu sagen.
Eines steht fest: Wir müssen die Schönheit wieder bewusst suchen und solange diese Suche
andauert, ist die Schönheit nicht verloren, sie wird uns finden, lassen wir sie zu – vielleicht
sogar in kindlicher Freude -, stellen wir sie gleichberechtigt neben Notwendiges und geben
wir ihr gezielt Platz, auch im Alltag und nicht nur im Museum und Konzertsaal. Erziehen
wir unsere Kinder, aber auch uns selbst wieder zur Schönheit, der Suche nach ihr, ihrem Erkennen, ihrer schöpferischen Gestaltung und sie wird uns reich beschenken und unsere
Seele berühren; und verzagen wir nicht, oft ruht die Schönheit im Verborgenen und
offenbart sich erst beim dritten Hinsehen oder Hinhören. Die Salzburger Festspiele werden
auch dieses Jahr ihren Beitrag zu dieser Suche leisten,
manchmal dissonant und gleichzeitig stimmig,
nicht vordergründig, eher vielschichtig,
nicht plump, vielmehr feinfühlig,
nicht immer einfach zu begreifen, aber mit dem Bewusstsein der großen Wirkung leiser
Andeutungen,
nicht auf sicherem Terrain, sondern oftmals auch in einem Drahtseilakt dessen Ausgang
ungewiss ist.
Seien Sie herzlich willkommen in Salzburg zu einem schönen Festspielsommer 2017.
