Die Alpen, zwischen dem Mythos der Naturgewalten und der Vision der Reinheit der Natur. Zwischen heiler Welt und dem sinnlos heroischen der ‚Berge in Flammen‘. Eine schwer zu überwindende Barriere waren die Alpen. Ein komplex diffiziler Lebensraum, der vor Jahrtausenden schon die Lebensweise prägte. In den Alpen zu leben und sie zu überwinden, war sehr lang von Gefahren und Einschränkungen begleitet. Für die Menschen damals in den Bergen endete das Interesse an den Bergen bei den Vegetationsgrenzen, stark beeinflusst von massiven Einwirkungen der Jahreszeiten. Was heute wie romantische Tradition wirkt, war damals zwingende Notwendigkeit. Die Transhumanz, der Zug mit den Tieren auf die Sommerweiden und vor dem Winter wieder zurück, war gefährlich und unvermeidbar wichtig für das Überleben. Reichtum war rar.
Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts begann es, dass Menschen zum Vergnügen oder auf der Suche nach Ruhm nach außergewöhnlichen Erlebnissen und Abenteuern suchten. Für die Bewohner der Alpen begann der Wandel vom mühsamen Leben hin zu Erwerbschancen durch den aufkommenden Tourismus. Das Bergsteigen wurde populär. Sir Leslie Stephen (1832–1904), eine führende Persönlichkeit des heroischen Bergsteiger-Zeitalters, sprach vom ‚edelsten Zeitvertreib der Welt‘. Engagiert verfolgt damals von Engländern, die u.a. 1857 in London den exklusiven Alpine Club gründeten. Ingenieure und Visionäre begannen damit, die Alpen mit Verkehrsmitteln zu erschließen. Es begann die Phase des alpinen Tourismus. Und was wünschen sich Touristen? Nun, sie wollen ihre Erlebnisse in Bildern mit nach Hause nehmen. Bilder von den ersten Berg- und Zahnradbahnen, die Damen in langen Röcken und Herren in Lederhosen auf neue Höhen im Gebirge oder in die ersten entstehenden Herbergen brachten.
Bilder von den Naturschönheiten, vom beginnenden Wintersport. Von den einheimischen Bergführern, die die Touristen auf dem Rücken von Maultieren zu den Sehenswürdigkeiten der Berge brachten. Sie galten damals noch als ‚Verrückte‘, die Touristen. Und die Skifahrer waren als Kuriosität eingeordnet. Die Alpen wurden zum Spielplatz Europas. Und die Photochrome, Fotografien, die kolorierten Postkarten, Plakate und Reiseprospekte zeigten die neu entstandenen Dimensionen. Obwohl die Schweizer die Alpen nicht ‚erfunden‘ haben, verdankt die Nachwelt einem von ihnen die Steigerung der Bildwirkung: In den 1880-er Jahren entwickelte der Züricher Lithograf Hans Jakob Schmid den Photochromdruck. Die Alpen wurden bunt.
Das aktuell im TASCHEN Verlag erschienene Buch THE ALPS 1900. A PORTRAIT IN COLOR lässt die Romantik jener hinreißend altmodischen Zeit wieder aufleben und zeigt Dokumente der Alpen, die wohl unwiederbringlich seither verloren gegangen sind. Es geht kreuz und quer auf Bilder-Streifzügen durch die Berge, begleitet von Zitaten von Reiseschriftstellern. Erinnerungen an Zeiten, in denen Berge und Schnee noch unberührt waren.
Die Herausgeberin: Sabine Arqué ist Bildredakteurin, Herausgeberin und Autorin. Sie hat an zahlreichen Publikationen zu Reisethemen sowie zur Geschichte des Tourismus und der Fotografie mitgewirkt.
Die Autorin: Agnès Couzy ist Journalistin und Autorin, aber auch eine passionierte Bergsteigerin. Sie hat zahlreiche Bücher zum Thema Berge veröffentlicht, darunter Femmes alpinistes (2008), Aiguille du Midi et Vallée Blanche (2003), Briançonnais aux six vallées (2017), Alps/Alpi/Alpen/Alpes (2007) und Voyages dans les Alpes (2007, als Co-Autorin).
The Alps 1900. A Portrait in Color / Sabine Arqué, Agnès Couzy / Hardcover, 29 x 39,5 cm, 6,40 kg, 600 Seiten / ISBN 978-3-8365-7355-9 / Mehrsprachige Ausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch
Alle Bilder für diesen Beitrag hat der TASCHEN Verlag zur Verfügung gestellt. Alpin-Romantik in Reinkultur auf dem Titelbild: Der Königssee bei Berchtesgaden…