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TASCHEN VERLAG / JAPAN 1900 / SCHWARZE SCHIFFE UND NEUES LICHT…

Schwarze Schiffe nannte man im Japan jene wenigen Schiffe, die bis zum 19.Jahrhundert in Japan ankamen. In einem Land, das sich fast völlig nach außen abgeschottet hatte und Fremden sowie Fremdem mit äußerster Distanzierung begegnete. Schwarze Schiffe waren auch die Mississippi, die Plymouth, Saratoga und Susquehanna, die unter dem Kommando von Commodore Matthew Perry am 8.Juli 1853 in der Bucht von Edo (das heutige Tokyo) vor Anker gegangen waren. Perry überbrachte ein Schreiben des damaligen US-Präsidenten Millard Fillmore. Er bat darum, die japanischen Häfen zu öffnen. Und er bat um offizielle Entgegennahme. Der Shogun erbat Bedenkzeit. Am 31.März 1854 kehrte Perry mit acht Schiffen und zusätzlichen Forderungen zurück. Wahrscheinlich überzeugte auch die überlegene Bewaffnung der amerikanischen Schiffe. Ergebnis war der Vertrag über Frieden, der formelle diplomatische Beziehungen zwischen Japan und den USA einschloss. Damit begann das Ende des Shogunats, die Erneuerung der Macht des Tenno (die Meiji-Restauration, benannt nach dem Thronnamen von Kaiser Meiji) und die Orientierung Japans an westlichen Vorbildern. Das Bild Japans änderte sich. Und bedeutender noch: Japan ließ es zu, dass man sich auch von außen ein Bild des Landes machen konnte. Es gab zwar 1877 noch einen Versuch der Wiederherstellung der früheren Ordnung durch den Samurai Saigo Takamori. Dieser ‚letzte Samurai‘ unterlag. Die Verfassung des Japanischen Kaiserreichs trat 1890 in Kraft.

TASCHEN VERLAG / JAPAN 1900
Beim Betrachten des Herbstlaubs der
Ahornbäume, Takinokawa, Ōji, um 1890

Wakon yõsai war das Schlagwort des Umbruchs. Japanischer Geist-Westliches Wissen. Gäste aus dem Ausland kamen ins Land. Und mit ihnen natürlich der Wunsch, das Gesehene und Erlebte in Form von Bildern mitzunehmen. Anfangs in der Nähe der damals entstehenden Hotels eröffneten Fotografen ihre Studios. Der Fotograf Kusabake bot Beratung für Reiseführer und gab etwa 1890 einen Katalog mit über 2000 seiner Fotografien, fein nach Themen sortiert, heraus. Daraus konnten Touristen ihre Auswahl treffen und die Motive als handkolorierte Bilder mitnehmen oder sich Alben mit Lackmalereien auf dem Umschlag anfertigen lassen. Requisiten in den Studios erlaubten es, dass Kunden sich in japanischem Habit im inszenierten Umfeld fotografieren lassen konnten, um so ein Souvenir der besonderen Art mit nach Hause nehmen zu können. Yokohama rückte vom Rand der Welt näher an das internationale Geschehen. Die Fotografen erkannten schnell, wie sie sich den Wünschen der Globetrotter anzunähern hatten. Yokohama Shasin (Fotos von Yokohama) entwickelte sich zu einem umfangreichen und eigenständigen Wirtschaftszweig. Mit einer eigenen Bildsprache künstlich wirkender Inszenierungen japanischer Szenerien in den Studios.

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Fuji-Pilger, Kusakabe Kimbei, um 1890 / Der Berg Fuji ist bis heute das geografische Wahrzeichen Japans und ein starkes Symbol der japanischen Identität. In vielen Fotostudios wie dem von Kusakabe Kimbei war eine mit dem heiligen Berg bemalte Hintergrundkulisse ein wichtiges Requisit, um die Modelle in einem japanischen Ambiente darzustellen.

Bilder aus dieser Phase des dramatischen Wandels in Japan und seiner Wandlung vom verschlossenen Reich hin zum offensiven Hegemonial-Anspruch sind im neuen Buch des TASCHEN Verlag gesammelt. JAPAN 1900, eine Reise durch Japan in der Phase des Übergangs vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert. Das Buch enthält mehr als siebenhundert Vintage Fotografien aus dieser Zeit. Mit Texten von Experten früherer japanischer Fotografie und thematischen Abhandlungen zu Traditionen des Landes. Als Besonderheit finden sich in diesem Buch Beschreibungen ausgedehnter Routen, die die Leser durch fünf Regionen des auch heute noch geheimnisvollen Japan führen. Völlig losgelöst von der Aktualität (Olympische Spiele in Japan versus notwendige Corona-Bedingte Reise Einschränkungen) bietet das Buch faszinierende Einblicke in das Land im neuen Licht des Wandels. Es öffnet den Einblick in die Zeit der Öffnung von Land und Gesellschaft. Vielleicht hilft es auch, die notwendige Abschottung in der Zeit von Corona angemessen einzuordnen.

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Tokio, Feuerwehrleute beim Neujahrsauftritt dezome-shiki, um 1890
Dezome-shiki ist eine akrobatische Neujahrsvorstellung der Feuerwehr von Edo. Die Tradition, auch nach dem Aufbau einer Feuerwehr westlichen Stils im Jahr 1880 fortgeführt, besteht bis heute.

Die Autoren: Sebastian Dobson ist freier Wissenschaftler auf dem Gebiet der frühen Fotografiegeschichte Japans und Ostasiens. Er hält zahlreiche Vorträge in Europa, den USA, Australien und Japan. Zu seinen Veröffentlichungen gehören Lexikoneinträge, Buchbesprechungen sowie Artikel und Katalogaufsätze zu Ausstellungen in Boston, Singapur und Tokio.

Sabine Arqué ist Dokumentarin, Bildredakteurin und Autorin. Sie hat an zahlreichen Publikationen zu Reisethemen und zur Geschichte des Tourismus und der Fotografie mitgewirkt.

TASCHEN VERLAG / JAPAN 1900

Japan 1900 / Sebastian Dobson, Sabine Arqué Hardcover, 29 x 39,5 cm / 5,80 kg, 536 Seiten / ISBN 978-3-8365-7356-6 (Deutsch, Englisch, Französisch)

TASCHEN VERLAG / JAPAN 1900
Sumo-Ringer im Ekōin-Tempel, wahrscheinlich Adolfo Farsari (1841–1898), um 1886
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Fischerboot, das bei Flut das torii des Itsukushima-Schreins passiert, um 1890
Das markante torii von Itsukushima ist das größte Bauwerk seiner Art in Japan und steht am Übergang vom Seto-Binnenmeer zum Areal des heiligen Shinto-Schreins. Bei Flut steht das torii teilweise im Wasser, und der Schrein scheint über dem Meer zu schweben. Die ganze Insel mit ihren zahl-reichen Tempeln und Schreinen gilt als heiliger Bezirk. Bis in die Neuzeit wurden hier rigorose Reinheitsvorschriften durchgesetzt. Seit 1878 durfte auf der Insel weder ein Kind geboren werden noch jemand sterben, und noch heute werden Inselbewohner auf dem Festland bestattet.

 

 

Alle Bilder wurden vom TASCHEN Verlag für diesen Bericht zur Verfügung gestellt, der alle Rechte an den Bildern besitzt. Bitte nehmen Sie Abstand davon, die Bilder zu welchen Zwecken auch immer zu kopieren. In einem solchen Fall käme nicht der letzte Samurai, um die Rechtsordnung wieder herzustellen. Dafür aber ein Rechtskundiger der Neuzeit mit einem Brief, so scharf formuliert wie ein japanisches Schwert. Das Titelbild: Mount Fuji from Suzukawa, photochrome print, c.1895