Vor rund oder gut drei Jahrzehnten, vielleicht waren es auch ein paar Jahre mehr, ist diese Anzeige erschienen. Die Headline hat nichts von ihrer Aktualität eingebüßt. Ein guter Grund, sie aus dem Archiv der eigenen Arbeiten herauszusuchen. Herr Dieter Rams wird am 20.Mai seinen neunzigsten Geburtstag feiern. Anlass für ihn, seine Stiftungstätigkeit zu erweitern und an die Anforderungen für eine gute Gestaltung zu erinnern. Das museumangewandtekunst in Frankfurt am Main aktualisiert seine Dauerausstellung um fotografische Arbeiten seiner Ehefrau Ingeborg Rams. Frau Rams war nach 1959 zusammen mit Ulf Beckert, Wilfried lndinger und Pit Schumann für die fotografische Darstellung der Braun Produkte zuständig.
Herr Dieter Rams hat anlässlich seines Geburtstags ein Statement verfasst:
„Ein 90. Geburtstag ist keine Selbstverständlichkeit, wenn wir Menschen auch immer älter werden. Ich möchte aus diesem Anlass einmal mehr auf mein Anliegen zur Gestaltung unserer Dingwelten hinweisen. Ich werde heute nicht nur 90 Jahre alt, sondern ich habe bis heute auch das Glück gehabt, seit etwa 70 Jahren gestalterisch arbeiten zu können. Das hatte oft mit Glück, häufiger aber auch mit den vielen Menschen zu tun, mit denen zusammen ich in meinem Leben die Gelegenheit hatte, Vorschläge für eine etwas bessere Welt zu machen. Lange war ich für das Unternehmen Braun tätig, bis heute noch für das Unternehmen Vitsce, das seit über 60 Jahren meine Möbelentwürfe herstellt und sie weltweit via Internet sehr engagiert und erfolgreich vertreibt.
Dass Umweltgestaltung – und das ist Produktgestaltung – einer Haltung bedarf, sollte allgemein bekannt sein. Meine habe ich schon vor vielen Jahren in drei Wörtern zusammengefasst: ,,weniger, aber besser.“ Wir müssen uns auf weniger, aber brauchbarere, nützlichere, umweltschonendere, universellere und dabei auch faszinierendere Dinge einlassen. Letzteres ist meine Auffassung nach der Schlüssel, wenn wir einen gedankenlosen Konsum in einen verantwortungsvollen Konsum verändern wollen. Attraktion muss sich auf neue überzeugende Konzepte und Funktionen beziehen, nicht auf den schönen Schein eines Designs für überflüssige Kaufanreize. Ein ernst zu nehmendes Industriedesign – ich würde es wegen des Missbrauchs des Wortes Design lieber auch international „Gestaltung“ nennen – muss heute überzeugende neue Konzepte für ein richtiges und gutes Leben in einer geschädigten Welt entwickeln.
Wir müssen von der Unkultur des Überflusses, der Verschwendung, der Billigkeit im Wortsinn, aber auch im übertragenden Sinne wegkommen. Das bedeutet, dass wir mehr Dinge benötigen, die wirklich das sind und das leisten, was die Benutzer von ihnen erhoffen: Erleichterung, Erweiterung, Intensivierung des Lebens. Und das mit möglichst geringem, ressourcenschonendem Aufwand. ,,Beschränke alles auf das Wesentliche, aber entferne nicht die Poesie“, heißt es in der Philosophie des japanischen Wabi-Sabi.
Gleichgültigkeit gegenüber den Menschen und ihrer Lebenswirklichkeit ist in meinen Augen die schlimmste Sünde, die ein Gestalter oder eine Gestalterin begehen kann. Die zweitschlimmste ist eine Fahrlässigkeit gegenüber der natürlichen Umwelt im Ganzen. Erst jetzt, wo eine existentielle Klima- und Umweltkrise nicht mehr zu leugnen ist, scheint das Thema auch bei der Politik angekommen zu sein, ohne dass da schon eine wirkliche Einigkeit und gemeinsames Handeln bestünden.
Ich bin kein Pessimist. Im Gegenteil war und bin ich immer Optimist mit der Einstellung, dass ein verantwortungsvolles und gut gemachtes Design das Leben der Menschen besser machen kann, ja machen muss. An einem neuen Zugang und an einem neuen Zugriff auf die Welt müssen wir aber alle arbeiten.
Aus Anlass meines 90. Geburtstags habe ich die von mir und meiner Frau vor einigen Jahren gegründete „Dieterund Ingeborg Rams Stiftung“ materiell deutlich handlungsfähiger aus meinem Privatvermögen ausgestattet. BritteSiepenkothen, die der Stiftung über 28 Jahre als Vorstandsmitglied angehört hat, sie mit aufgebaut und sehrengagiert und verdienstvoll begleitet hat, tritt in diesem Jahr in den Ruhestand. Zusammen mit dem nun geschäftsführenden Vorstand Prof. Dr. Klaus Klemp und einem neu zu berufenden Kuratorium, zunächst aus meiner Frau und mir sowie Arch. Dipl.-Ing. Till Schneider werde ich in den nächsten Monaten über neueHandlungsfelder zur Förderung für eine bessere Gestaltung nachdenken. Dabei werden wir zunächstausschließlich eigene Projekte fokussieren und auf den Weg bringen. Unsere Stiftung ist im Verhältnis zu anderen Kulturstiftungen zwar immer noch klein, aber vielleicht können wir mit meinem zuvor Gesagten dazu beitragen,den Stein zu einer besseren Zukunft weiter ins Rollen zu bringen. Die seit meinem 85. Geburtstag eingerichtete Dauerausstellung im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main, die jeweils jährlich neu mit Produktenund Entwurfsmodellen bestückt wird, zeigt in diesem Jahr auch Fotografien meiner Ehefrau Ingeborg, worüber ich mich sehr freue. Auch wir waren immer ein Team.“ – Dieter Rams, 16. Mai 2022
Bilder: museum angewandtekunst Frankfurt / und Archiv Designers-Digest