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EIN NEUES EUROPÄISCHES BAUHAUS ERRICHTEN…

…einen Raum, in dem Architekten, Künstler, Studenten, Ingenieure und Designer gemeinsam und kreativ an diesem Ziel arbeiten. So kündigte das die Präsidentin der EU-Kommission, Frau von der Leyen, in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union am 16. September 2020 an. Das steht im Zusammenhang mit den folgenden Sätzen: Ich will, dass NextGenerationEU eine europäische Renovierungswelle auslöst und unsere Union zu einem Spitzenreiter in der Kreislaufwirtschaft macht. Aber dies ist nicht nur ein Umwelt- oder Wirtschaftsprojekt, sondern muss auch ein neues Kulturprojekt für Europa werden. Jede Bewegung hat ihr eigenes Gefühl. Wir müssen dem Systemwandel ein Gesicht verleihen – um Nachhaltigkeit mit einer eigenen Ästhetik zu verbinden. Deshalb werden wir ein neues europäisches Bauhaus errichten – einen Raum, in dem Architekten, Künstler, Studenten, Ingenieure und Designer gemeinsam und kreativ an diesem Ziel arbeiten. Dies ist NextGenerationEU. So schaffen wir die Welt von morgen. Eine Welt mit einer Wirtschaft, die Emissionen senkt, den Wettbewerb stärkt, Energiearmut bekämpft, lohnende Arbeit schafft und für eine bessere Lebensqualität sorgt. Eine Welt, in der wir auf digitale Technologien setzen, im Interesse einer gesunderen, grüneren Gesellschaft. Dies ist aber nur möglich, wenn wir alle gemeinsam daran arbeiten, und ich werde darauf bestehen, dass die Aufbaupläne uns nicht nur aus der Krise helfen, sondern auch dazu beitragen, Europa mit Schwung in die Welt von morgen zu bringen.

EU-Kommission/ Bauhaus
Oskar Schlemmer. Gruppenfoto des Ensemble Triadic Ballet, Teil der Revue ‚Wieder Metropol‘ im Metropol Theater, Berlin, 1926…

BAUHAUS, Sind es die ursprünglichen Ansätze von Henry van der Velde und Walter Gropius, die Kunst angesichts der Industrialisierung zu emanzipieren und dem Kunst-Handwerk Raum zu schaffen? War es das politische und gesellschaftliche Umfeld in der Zeit der Umbrüche nach dem ersten Weltkrieg, das Aufbruch verlangte und ermöglichte? Möglicherweise die Vision, einer Phase des imperialen Gegeneinander die Befreiung durch die Internationalisierung eines neuen Gesellschaftsmodells gegenüber zu stellen? Gropius glaubte an die Notwendigkeit einer neuen Gesellschaft. Er war im Arbeitsrat für Kunst engagiert, die die Kunst als Mittel zur Revolutionierung der Gesellschaft sah. Es dürfte das Zusammenwirken der Kräfte jener Zeit gewesen sein, die das Bauhaus zu einem Phänomen werden ließ. Immer noch Begriff einer Avantgarde, die vielfältige Impulse, mit teils utopischen Ansätzen, zur Reformierung aller Lebensbereiche gab. Stellvertretend für das Ganze hat das BAUHAUS allgemein verständliche und grundlegende Gestaltungsansätze formuliert. Verzicht auf alles Überflüssige, Einfachheit, achtsamer Umgang mit Material, Farbe und Form sind Teile einer Formel, deren generelle Gültigkeit inhaltlich auf die eine oder andere Weise überall Anwendung fand, die aber durch das BAUHAUS nachhaltig formuliert worden ist. Zeitlos die Fragen nach individueller Identifikation. Nach dem Essenziellen des ‚Wie wollen wir leben? / Wie wollen wir wohnen? / Wie kann ich mit weniger mehr erreichen? / Was kann ich zu einem besseren Leben beitragen?‘. Kritisch zu sehen, dass diese Fragen gestellt wurden und werden. Die Antworten zu leichtfertig im gestalterisch Formalen gegeben werden. Denkbar, dass die Faszination des BAUHAUS darin besteht, dass die wesentlichen Antworten bis heute nicht gegeben wurden. Bedenklich, dass oberflächliches Bewundern des Stils vom Kern des generell Notwendigen immer noch ablenkt. Das BAUHAUS ist keine Stil-Epoche, sondern Synonym für eine konstante gesellschaftliche ‚Baustelle‘… (Auszug aus einem Beitrag zum BAUHAUS-Buch, erschienen im TASCHEN Verlag).

EU-Kommission/ Bauhaus
Kurt Schmidt: Der Mann am Kontrollpult, 1924, Szenen-Entwurf…

Es stellt sich die Frage, ob die Dynamik des Heute in eine Formalie von gestern gepresst werden kann. Ob der so schnell und mit Zufriedenheit gebrauchte Begriff des Bauhaus das beschreibt, was getan werden kann und muss. Zu fragen ist auch, ob die Annahme einer Befreiung im formalen und künstlerischen Tun nicht eher Idealisierung eines Projekts ist, das auf Einhalten von neuen Regeln bestand.

Sehr zu begrüßen ist die Absicht, etwas zu ändern. Auch zu begrüßen, dass die Rolle der gestaltend Tätigen hervorgehoben wird. So wenigstens in dieser Rede aus der Unverbindlichkeit alltäglicher Beiläufigkeit befreit wird. Man wird sehen, was sich aus der geäußerten Absicht entwickelt. Ein Europäisches Bauhaus real oder intentionell zu bauen wird ein komplexer und  langwieriger Prozess sein. Ob die in der Rede hervorgehobenen Gestalter in der Aktualität ihrer Probleme mit der Krise jetzt zurecht kommen, ist die drängende Frage. Die Zeichen dafür, dass Kultur und Kreativität durch die Krise jetzt erheblichen Schaden nehmen, sind alarmierend deutlich. Es ist von höchster Dringlichkeit, akut das In Europa Zuhause-Sein der Künstler und Gestalter faktisch, entschlossen und schnell zu sichern.

EU-Kommission/ Bauhaus
Unbekannter Student…

Die Illustrationen zu diesem Beitrag sind dem Buch BAUHAUS, erschienen im TASCHEN Verlag, entnommen. Titelbild: Ausschnitt aus Construction Z I, László Moholy-Nagy, 1922;23