DIE MURÄNE IM SCHAUMBAD…

Wenn man es genau nimmt, ist der 11.Dezember 1980 der Tag, an dem es mit MEMPHIS anfing. Junge Designer und Architekten waren bei Ettore Sottsass zu Hause. Stuck Inside of Mobile with the Memphis Blues Again von Bob Dylan wiederholte sich auf der Music-Machine. Dylan’s Refrain ist: Oh, Mama, can this really be the end / To be stuck inside of Mobile with the Memphis blues again? Und Blues war es irgendwie in Milano. Noch eine Zeile von Dylan: But the post office has been stolen / And the mailbox is locked. MEMPHIS! Auf der Achse zwischen der Metropole des Altertums, Aretha Franklin, Elvis Presley und Milano. Danach entstanden die Entwürfe einer Kollektion von Design Objekten. Ettore Sottsass, Aldo Cibic, Matteo Thun, Marco Zanini, Martine Bedin, Michele De Lucchi, Nathalie Du Pasquier und George Sowden komponierten den Neuen Formal Tune. Premiere war beim Salone del Mobile im September 1981. Vor der Galerie Arc’74 versammelten sich mehr als zweitausend Menschen und blockierten den Verkehr. Die Muräne hat sie aufgescheucht, die im lauwarmen Schaumbad des industrialisierten Design durch die Messe schwammen. Was sie bei Arc‘74 zu sehen bekamen, verursachte alles auf einmal. Atemstillstand, Schockstarre, Hysterie und frenetische Begeisterung. Die Presse stand Kopf, weltweit. Und die gewogene Design-Öffentlichkeit schwankte zwischen absoluter Depression und extremer Hyper-Aktivität. Was MEMPHIS erreicht hat, das war neu Im Design. Es dürfte so etwas auch nicht noch einmal geben. Einfach deshalb, weil der Kern der positiv anarchistischen Intention in den Köpfen verankert und nur an diesem Ort MEMPHIS zu finden ist. Spielerischer Umgang mit Form, Farbe und Material. Eleganz spricht mit Kitsch. Absurde, irrationale Linien ‚lachen‘ über artige rechte Winkel. Spektakuläre Laminate machen den Eindruck, als wären sie prestigegeladene Materialien. Stellen das Teure solcher Elemente durch ihren emotionalen Wert in den Schatten und lassen sie arm und billig zurück. Ettore’s Formal Exercises finden sich wieder. ‚Willst Du in der Sonne sitzen oder im Schatten?‘. Willst Du Deine Bücher immer brav sortiert auf ein gerades Brett richten oder nicht mal auch den Büchern Freude machen und sie schief hinstellen?‘ Zwänge gibt es genug. Bob Dylan, Mama, can this really be the end…?

1985 verliess Ettore Sottsass die Gruppe. Das für ihn Wesentliche war mit den Antworten von MEMPHIS erreicht. Das nicht Unwesentliche für die Fortführung des Prozesses spiegelte nicht seine Philosophie wieder. Das Spielerische, sicher auch Elitäre des Projekts ging im eifrigen ökonomischen Bestreben verloren. MEMPHIS wurde teuer und Spielzeug von Eliten, die ihr Leben eine Zeit lang damit schmückten. MEMPHIS ist nichts für schwarz gekleidete, leise sprechende Design-Würdenträger. Nichts für den ‚Stile Design‘ in Form applizierter Formalität. MEMPHIS ist der Begriff für spielerisches, freies Umgehen mit den Faktoren, die eine Rolle in der Lebensgestaltung spielen. Das VITRA DESIGN MUSEUM zeigt in der Ausstellung ‚MEMPHIS. 40 Jahre Kitsch und Eleganz‘ Exponate, lüftet den Vorhang einer Bühne, auf der man es mit dem Spielerischen ernst nehmen sollte…

 

VISUALS bereitgestellt von VITRA. Bei den Bildern finden sich die Angaben zu Objekt und Autoren. Bitte nehmen Sie Abstand vom Kopieren der gezeigten Bilder. Titelbild: Luciano Paccagnella, Motiv der Einladungskarte zur ersten Memphis-Ausstellung in der Galerie Arc ’74 in Mailand, 18. September 1981 © Luciano Paccagnella