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ARCHITECTURE OF SPEED / PAUL JARAY / AUSSTELLUNG IM ARSENALE INSTITUTE / VENEDIG

Der Titel der Ausstellung in ganzer Länge: ARCHITECTUREOFSPEED PAUL JARAY and the Shape of Necessity. Sie wird bis 30.Januar 2022 im Arsenale Institute for Politics of Representation, Castello, 1430/A, Riva Sette Martiri, 30122 Venezia gezeigt. Kurator ist Herr Wolfgang Scheppe. Er dokumentiert die Geschichte eines Mannes, dessen Forschungsergebnisse und Berechnungen bahnbrechend für die Bedeutung der Aerodynamik im Automobilbau waren. Der aber vom nationalsozialistischen Regime und dessen opportunistischen Gefolgsleuten aus der Erinnerung gestrichen wurde, weil er jüdischen Glaubens war. Wissen und Formen nutzte man. Man stahl ihm seine Patente. Entfernte ihn vollständig aus der Geschichte von Wissenschaft und Design. Ruhm und Erfolg nahmen jene in Anspruch, die dem verbrecherischen Wahn der Nationalsozialisten folgten. Herr Jaray starb 1974 vergessen und verarmt in Sankt Gallen. Die Ausstellung ist eine faszinierende Dokumentation zu Herrn Jaray’s Berechnungen, die zur ‚Stromlinienform‘ führten. Und zugleich eine abgrundtief beschämende Darstellung des Verhaltens damaliger ‚Stromlinienförmiger‘ Mitläufer des dritten Reichs.

PAUL JARAY / THE SHAPE OF NECESSITY / ARSENALE INSTITUTE
Auto-Union / Lucca-Rekordwagen 1935 / Arsenale Institute, Archive. Mit diesem Fahrzeug, dem Lucca-Wagen erreichte Hans Stuck 1935 auf der Schnellstrasse zwischen Pisa und Florenz bei Lucca eine Geschwindigkeit von mehr als 300 km/h…

Das Curatorial Statement der Ausstellung beendet die fatale vergesellschftlichte Obsoleszenz.

PAUL JARAY / THE SHAPE OF NECESSITY / ARSENALE INSTITUTE
Paul Jaray / Portrait / ca.1974 / ©2021,Arsenale Institute, Archive

§ 1: Paul Jaray (1889–1974) wurde mit der gerade hundert Jahre zurückliegenden Patentanmeldung von 1921 zum ersten und entscheidenden wissenschaftlichen Pionier der Aerodynamik des Automobils. Er gab dem bodengestützten Fahrzeug vor allen anderen die naturwissenschaftlich begründete Gestalt. Doch heute Jarays Rolle als Wegbereiter des Automobils zu reflektieren, heißt, vom nunmehr geschichtlich etablierten Status einer vergesellschafteten Obsoleszenz, in den die massenhafte Individualmobilität geraten ist, zurückzublicken auf den diametral entgegen-gesetzten Moment ihrer heroischen Epoche. Dieses Gerät stand nämlich für eine linke Sozialutopie: Die Massen sollten in einer geradezu systemtranszendierenden Erlösungsphantasie mittels technischen Fort-schritts motorisch befreit werden. Dieser Beginn ist in Vergessenheit geraten. Entwickelt wurde dieses Zukunftsbild, dessen sich die Propaganda der faschistischen Herrschaft in Deutsch-land in einer so folgenreich expropriierenden Verkehrung zu bedienen wusste, ausgerechnet von Intellektuellen aus der jüdischen Kultur des Wien nach der Jahrhundertwende, neben Jaray sind in diesem Zusammenhang Edmund Rumpler (1872–1940) und vor allem Josef Ganz (1898–1967) und dessen in jeder Hinsicht progressives Periodikum Motor-Kritik zu nennen. Deren Fortschrittsgeist, der soziale Verheißungen mit der technologischen Leistungsfähigkeit industrieller Produktivität verband, hat sich heute in sein Gegenteil verkehrt: Das bei den Massen beliebte, tonnenschwere und umweltschädliche Sport Utility Vehicle dient nicht mehr dem – metaphorischen und physischen – Fortkommen, sondern steht mit seinem repräsentativen Selbstzweck im Rang des reaktio-nären Festhaltens an einem unhaltbar gewordenen Anachronismus des Zeigebedürfnisses. Die private Maschine als Instrument der Emanzipation ist heute nur mehr Ausweis eines anti-aufklärerischen Fest-haltens an einem Objekt, das für einen Schaden am großen Ganzen ursächlich ist. In all seinem technik-optimistischen Furor, der ihn im Tenor des Futuristen Marinetti programmatisch ausrufen ließ „Beseitigen oder stromlinienförmig gestalten!“, ahnte Jaray dies viel früher als seine Gesellschaft: Er war nicht nur der erste, der die mathematische Optimierung der Strömungsmechanik des Fahrzeugkörpers seiner Energieeffizienz und Nachhaltigkeit wegen propagierte, sondern stellte bereits Ende der 20er-Jahre Überlegungen zu alternativen Energiekonzepten an, die er im Angesicht des in seinen Augen zu erwartenden Zur-Neige-Gehens fossiler Brennstoffe für unabdingbar hielt.

Bitte folgen Sie diesem Link und lesen Sie von §1 bis §5, was der Kurator, Herr Wolfgang Scheppe ausführt. Es ist wichtig und bedeutsam. Eingeleitet von sechs ebenso wichtigen Kernpunken zur Ausstellung.

PAUL JARAY / THE SHAPE OF NECESSITY / ARSENALE INSTITUTE
Der Lucca-Wagen der Auto-Union…

Das Bildmaterial hat das ARSENALE INSTITUTE für diese Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. Jede Verwendung dieser Bilder durch Kopieren oder Herunterladen ist ausdrücklich untersagt! Titelbild: Auto-Union / Lucca-Rekordwagen 1935 / Photographer: Adrian Sauer, © 2021 Arsenale Institute, Venezia